von Hans von der Goltz, Alexander Held und Christian Henschke
Spektakuläre Risiken wie Feuer oder Sturm erfahren größeres mediales Interesse als Reh oder Hirsch. Während die Wirkung von Waldbrand oder Sturm in wenigen Stunden sichtbar wird, bleiben die Folgen des Wildverbisses in einem schleichenden Prozess verborgen. Auf diese Weise ist ein Schlüsselfaktor für erfolgreiche Klimaanpassung im Wald in der öffentlichen Wahrnehmung, medial und politisch auf fatale Weise unterbelichtet.
Hintergrund: Anpassung an die Folgen des Klimawandels
Die Folgen des Klimawandels drohen die Zukunftsfähigkeit der Wälder zu gefährden. Aus diesem Grund haben Forstämter und WaldbesitzerInnen ein Leitbild für die Waldentwicklung unter Berücksichtigung des Klimawandels entworfen. Der sogenannte „klimaresiliente Wald“ sieht wie folgt aus:
- Vielfältiger Mischwald
- Widerstandsfähige Bäume mit großen Kronen
- Nebeneinander von alten und jungen Bäumen
- Artenreicher und vitaler natürlicher Baumnachwuchs
- Durchmischung mit klimarobusten Baumarten
Die Erfahrung zeigt, dass Schälschäden (Abnagen von Rindenstücken oder Abziehen ganzer Rinden-streifen von Bäumen vor allem durch Rotwild und andere Hirscharten) und vor allem Verbiss durch Rehwild – sofern ein zu tolerierender Bereich überschreiten wird – diesem Leitbild entgegenstehen: Allzu oft verhindern überhöhte Schalenwildbestände die erfolgreiche Entwicklung vitaler, widerstandsfähiger Mischwälder.
Dieses Problem ist nicht neu, wird aber durch den Klimawandel verschärft. Gleichzeitig könnte der Klimawandel aber eine Gelegenheit sein, eine verkrustete Problemkonstellation lösungsorientiert anzugehen.
Die Projekte BioWild und KLIMWALD
Die beiden Projekte „Biodiversität und Schalenwildmanagement in Wirtschaftswäldern“ (BioWild) und „Erfolgreiche Klimaanpassung im Kommunalwald“ (KLIMWALD) beschäftigen sich beide mit dem Einfluss von Schalenwild auf die Waldentwicklung. Während BioWild methodisch anspruchsvoll mit breiter regionaler und struktureller Abdeckung wissenschaftliche Grundlagen erarbeitet, ist KLIMWALD klar handlungsorientiert, orts- und fallbezogen:
BioWild: Bisher gibt es keine bundesweit verlässlichen wissenschaftlichen Daten zur Beschreibung der bodennahen holzigen und krautigen Waldvegetation bei einem „gegebenen“ Schalenwildbestand. Im Rahmen dieses Projektes soll eine objektive Bestandsaufnahme der Vegetation den WaldbesitzerInnen eine Entscheidungsgrundlage über die zukünftige Ausrichtung ihrer Wald-Wild-Bewirtschaftung geben. An 248 Weisergattern (10 x 10 m) wird die Entwicklung der Vegetation über zunächst sechs Jahre verglichen mit unmittelbar angrenzenden nicht gegatterten Parallelflächen. Die Erhebungen erfolgen in fünf Bundesländern (Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen). Untersucht wird die Entwicklung auf nährstoffarmen Sanden bis hin zu nährstoffreichen Böden, im Flachland und im Mittelgebirge, bei hohen und bei angepassten oder anzupassenden Wildbeständen. Mit einem von drei Jagdregimen mit unterschiedlichen Zielsetzungen 1 soll der hohe Wildbestand auf Wunsch der Waldbesitzer reduziert werden. Auch hier erfasst man die Auswirkungen auf die Vegetation. Es wird angestrebt, so bundesweit repräsentative Resultate zur Bewertung unterschiedlicher Biodiversität bei sich ändernden Schalenwilddichten – unter gleichzeitiger Berücksichtigung der verschiedenen Jagdstrategien – abzuleiten. Mit Hilfe der Projektergebnisse soll gezeigt werden, welche unmittelbaren bzw. langfristigen ökologischen und ökonomischen Konsequenzen die jeweiligen waldbaulichen oder jagdlichen Entscheidungen für Eigentümer und Gesellschaft haben werden.

KLIMWALD ist zunächst auf waldbauliche Handlungsschwerpunkte zur Entwicklung klimarobuster Wälder ausgerichtet. Das Projekt fußt auf den Erkenntnissen des Verbundvorhabens KLIMZUG-Nordhessen (2008–2013). Hier war klar geworden:
- Für erfolgreiche Klimaanpassung im Kommunalwald ist besonders das Ausmaß von Wildverbiss der Schlüsselfaktor.
- Wenn Korrekturen im bestehenden System gesucht werden sollen, braucht es dringend die Unterstützung der Jägerschaft.
- Auf diese konnte aber bisher nicht in erforderlichem Maß gezählt werden.
Aus diesem Grund haben ForstpraktikerInnen von HessenForst und WissenschaftlerInnen der Universität Kassel in dem Projekt KLIMWALD versucht, die bestehende Polarisierung von Jagd- und Waldinteressen aufzubrechen. Ziel war es, über einen wissensfundierten Arbeitsprozess, der gemeinsam von WaldbesitzerInnen, Forst und Jagd geführt wird, zu gegenseitigem Verständnis beizutragen und letztlich einvernehmlich Maßnahmen zu vereinbaren, die
- zur erfolgreichen Klimaanpassung im Kommunalwald beitragen,
- jagdliche Belange achten und wildtierökologische Voraussetzungen berücksichtigen,
- akzeptiert und dauerhaft etabliert werden.
Vorbehalte und Widerstand
Klar ist: Der Einfluss des Schalenwildes auf die Zukunftsfähigkeit der Waldvegetation ist teilweise so erheblich, dass sich vitale Mischwälder nicht entwickeln können. Es muss gehandelt werden. Die Projektpartner von KLIMWALD und BioWild setzen hierbei auf eine enge Kooperation von WaldbesitzerInnen, FörsterInnen, JägerInnen und der Wissenschaft. Es geht nicht darum, Schuldige zu identifizieren, sondern um das gemeinsame Erarbeiten von Lösungen.
Umso erstaunlicher ist der zum Teil heftige Widerstand von Teilen der organisierten Jägerschaft:
- Beide Projekte wurden mit unsachlichen Vorwürfen und Interpretationen konfrontiert, die auf die [Integrität der] Handelnden im Projekt zielten.
- Im Fall von KLIMWALD zog sich ein großer Teil der organisierten Jägerschaft öffentlichkeitswirksam von der Projektkooperation zurück.
- In Organen der jagdlichen Presse wurden unvollständige oder verzerrende Darstellungen der Projektansätze und -ergebnisse veröffentlicht. Dadurch werden Problembezug und der Lösungsbeitrag negiert und die Projektansätze als überzogene, zum Teil sogar als rechtswidrige Anliegen diskreditiert.
Positive Ansätze
Im Fall von KLIMWALD ist es gelungen – wenn auch in einem deutlich kleineren räumlichen Ausschnitt als ursprünglich geplant – für einen Kommunalwald einen Arbeitsprozess zu organisieren, der den oben genannten Ansprüchen gerecht wurde: Hier liegt ein gemeinsam mit den JagdpächterInnen und EigentümerInnen erarbeiteter und einvernehmlich beschlossener Maßnahmenplan auf dem Tisch mit dem Anliegen, die waldbaulichen Ziele und Maßnahmen zur Klimaanpassung zu unterstützen.
Dieses Ergebnis ist umso mehr hervorzuheben, wenn man berücksichtigt, dass die an diesem Prozess beteiligten Jäger
- zum Teil selbst erhebliche Vorbehalte hatten – vor Beginn der Kooperation im Projekt.
- sich dauerhaft damit auseinandersetzen und aushalten mussten, dass ihre Kooperation mit KLIMWALD von anderen Jägern teilweise scharf kritisiert wurde.
Im BioWild-Projekt beginnen die PartnerInnen zu erkennen, dass aus dem Projekt durch intensiven Dialog Anregungen und Hilfestellungen für WaldbesitzerInnen und JägerInnen gemeinsam erarbeitet werden. Die ersten Unterschiede der verschiedenen Jagdregime werden sichtbar, und größere jagdliche Freiheiten im Rahmen gesetzlicher Vorschriften werden verantwortungsvoll von den Jägern genutzt.
Einordung
Das Positivbeispiel der Wald-Wild-Kooperation von KLIMWALD und BioWild zeigt, dass JägerInnen, WaldbesitzerInnen und FörsterInnen gemeinsam Verantwortung für den Wald und die Lebensraumansprüche eines tragbaren Wildbestands übernehmen können. Dazu sind gegenseitiges Verständnis und Zugeständnisse erforderlich, aber es geht.
Gleichwohl bleibt nach den Erfahrungen beider Projekte unter dem Strich die Erkenntnis, dass in der organisierten Jägerschaft die Bereitschaft, eigene traditionelle Handlungen in ihrer Nachhaltigkeitswirkung zu hinterfragen, nach wie vor wenig ausgeprägt ist. Vielmehr sind starke Tendenzen im jagdlichen „Fachdiskurs“ sichtbar, das Ausgangsproblem – überhöhte Wildbestände können der Zukunftssicherung der Wälder entgegenstehen – zu negieren und sich (statuswahrend) einer Sachdebatte und am Waldzustand orientierter Lösung zu entziehen.
Der dabei zu wahrende Status – Jagdausübung ohne Beeinflussung durch waldbauliche Aspekte, am Jagdvergnügen einerseits und der Vermeidung teurer Schwarzwildschäden in der Landwirtschaft andererseits ausgerichtet – steht in starkem Kontrast zu dem Schutzgut, das dadurch aufs Spiel gesetzt wird: Bei der Zukunftssicherung der Wälder geht es um den Erhalt erheblicher Werte; diese sind monetär und ökonomisch, nicht weniger wertvoll sind positive Wirkungen für Klima, Biodiversität und Erholung.
Blick über den nationalen Tellerrand
Die oben erwähnten Zusammenhänge sind auch aus Sicht des European Forest Institute (EFI) von entscheidender Bedeutung für die Leistungsfähigkeit von Wäldern. Es geht hier um mehr als Waldbesitzer-Interesse; es geht um Wald-Wirkung für die Gesellschaft. Nicht nur für Deutschland, über Europa hinweg betrachtet wird deutlich: Ohne die aktive Einbindung der Jägerschaft ist ein Lösungsansatz nicht möglich. Daher unterstützt das EFI den konstruktiven Dialog auf Augenhöhe aller Beteiligten. Der Mehrwert des fachlich fundierten Austausches zu Gunsten einer Problemlösung kann in Zeiten des Klimawandels nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Auch in Nachbarländern Schweiz, Österreich oder Tschechische Republik gibt es durchaus gelungene Wald-Wild Beispiele, zum Beispiel in den Pro-Silva-Betrieben. Diese beispielhaften Ansätze zeigen, dass alle Beteiligten mit Freude zur Jagd gehen können und gleichzeitig die Einbettung des jagdlichen Handelns in den größeren Kontext der Jagd Sinnhaftigkeit und Zukunfstfähigkeit bescheren.
Weiterführende Informationen und Ansprechpartner
Biodiversität und Schalenwildmanagement in Wirtschaftswäldern (BioWild)
Kontakt:
Hans von der Goltz
hansvdgoltz@gmail.com
http://biowildprojekt.de/
Erfolgreiche Klimaanpassung im Kommunalwald (KLIMWALD)
Dr. Christian Henschke
chenschk@uni-kassel.de
www.uni-kassel.de/go/klimwald
European Forest Institute (Standort Bonn)
Alexander Held
alexander.held@efi.int
http://www.efi.int
1. Anmerkung Held: Ein Regime lässt alles beim Alten, es wird weitergejagt wie bisher. Das zweite belässt die bestehenden gesetzlichen Regelungen, erlegt aber mehr. Das dritte ändert die Jagd- und Schonzeiten und synchronisiert die Jagd- mit der Erlegungszeit, das heißt, wenn Jaddzeit ist, darf weibliches, männliches, junges Wild erlegt werden (immer nach Tierschutz). Bisher ist es aber oft so, dass in der Jagdzeit nur der Bock erlegt werden darf, kein weibliches Wild.↩
http://resilience-blog.com/2018/01/31/deer-and-silviculture-for-resilient-forest/
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