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Der “Kampf um Wald und Kohle” – wie ein Wald Kristallisationspunkt einer politischen Auseinandersetzung wurde

Der Hambacher Forst ist derzeit wohl der meist diskutierte Wald in den deutschen Medien. Dieser Wald liegt nur rund 50 Kilometer westlich von Köln direkt an Europas größtem Braunkohletagebau. Von dem ehemals 5.500 Hektar großen Wald sind heute noch rund 500 Hektar übrig. Ab Oktober diesen Jahres wird vom Energiekonzern RWE die nächste Rodungssaison geplant, nach der noch knapp 200 Hektar des Waldes verbleiben werden. Doch seit Jahren regt sich Widerstand und macht den Wald zum Schauplatz eines Kampfes „um Kohle, Wald und Klima“, wie die Deutsche Welle kürzlich titelte. Was 2012 mit einer Besetzung des Waldes durch Umweltaktivist*innen begann, umfasst heute eine breite Protestbewegung vielfältiger Akteur*innen mit Bürger*innen aus umliegenden Dörfern oder auch von weiter weg, Umweltverbänden, Kirchengemeinden und vielen weiteren, die sich für den Erhalt des Waldes aussprechen.
Wie ist der Wald zu einem solch symbolträchtigen Ort geworden? Was zeigt uns die Geschichte des Hambacher Forsts? Betritt man diesen Wald, zieht er die Besucher*innen mit seinen alten Hainbuchen und Stieleichen schnell in seinen Bann. Der Hambacher Forst ist ein besonders alter Bestand eines Hainbuchen-Stieleichenwaldes mit hohem ökologischen Wert. Er wurde schon 973 erstmals urkundlich erwähnt. Der Wald ist Lebensraum für nach europäischem Naturschutzrecht geschützte Arten wie den Mittelspecht, die Bechsteinfledermaus oder die Haselmaus. 1978 erwarb der Energiekonzern RWE (damals Rheinbraun AG) den „Bürgewald“, wie er auch genannt wurde, von den umliegenden Gemeinden. Seitdem wurde der Wald für die Braunkohleförderung Stück für Stück gerodet. Heute liegt dieser direkt an der Abbruchkante des Tagebau Hambach, einer 450 Meter tiefen Grube zur Braunkohleförderung. Die Braunkohle wird von dort in die nahegelegenen Kraftwerke transportiert. Mag der Wald auch noch so schön anmuten, das stetige Brummen der Bagger aus der nahe gelegenen Kohlegrube sind Tag und Nacht unüberhörbar. Sie erinnern kontinuierlich an den Tagebau gleich nebenan.
Aus Protest gegen die Abholzung des Waldes für Braunkohleförderung besetzten 2012 zum ersten Mal Umweltaktivist*innen den Wald. Trotz mehrerer Räumungen wurde das Gebiet immer wieder neu besetzt. Es wurden zahlreiche Baumhäuser gebaut, die bis heute dauerhaft bewohnt sind. Dies ermöglichte den Beginn einer heute breiten Solidaritäts- und Protestbewegung, die die derzeitige mediale Aufmerksamkeit erklärt.
Was viele nicht wissen: Das Braunkohlerevier im Rheinland stellt eine der der Haupt-CO2-Quellen in Deutschland dar, was an der sehr schlechten Klimabilanz der Braunkohleförderung und -verstromung liegt. Braunkohle ist mit 1.150 Grammbrown-coal-brown-coal-mining-bucket-wheel-excavators-532229 CO2-Ausstoß pro Kilowattstunde ein besonders klimaschädlicher Energieträger. Europas vier schmutzigsten Braunkohlekraftwerke stehen in Deutschland. Das von RWE Power betriebene Kraftwerk Neurath – eines von vier RWE-Kraftwerken im Rheinland –  stößt jährlich mehr als 32 Mio. Tonnen CO2 aus und ist damit laut BUND NRW „Deutschlands Klimakiller Nummer 1“.
Doch auch die Umsiedlungen von ganzen Dörfern, tiefgreifende Eingriffe in die Landschaft und das Ökosystem, unter anderem durch Grundwasserabsenkungen, sind Teil der Kritik an Braunkohleförderung.
Während die von der Bundesregierung in Kraft gesetzte Kohlekommission über den Kohleausstieg verhandelt, wolle RWE mit der Motorsäge Fakten schaffen, so war es in der Presse zu lesen. Deswegen fordern Kritiker*innen, bis dahin ein Rodungsmoratorium zu erstellen. Der hohe ökologische Wert des Waldes war auch ausschlaggebend für verschiedene vom BUND NRW eingereichte Klagen. Es sollte unter anderem festgestellt werden, ob der Hambacher Forst ausreichend als potenzielles Flora-Fauna-Habitatgebiet geprüft wurde. 2017 wurde ein richterlicher Rodungsstop verhängt. Derzeit klagt der Umweltverband erneut gegen die Zulassung des aktuellen, der auch die Rodung im Hambacher Forst regelt. Am 6. September gab der RWE-Konzern nach Aufforderung des Oberlandesgerichts in Münster zwar die Zusage ab, bis Mitte Oktober nicht zu roden, wie aus einer aktuellen Pressemitteilung des BUND NRW hervor geht. Die endgültige Entscheidung über die Klage steht allerdings noch aus.
Dieses heute klein anmutende Waldstück hat große Symbolkraft errungen. Menschen sind auf ganz unterschiedliche Weise mit diesem Ort verbunden und betten ihn in ihre individuellen und kollektiven Erzählungen ein – als Anwohnende in den von Umsiedlungen betroffenen Regionen, als Aktivist*in der Klimabewegung, als empörte*r Bürger*in oder auch als Befürworter*in des Braunkohletagebaus. Hier zeigt sich wieder, dass ein Wald mehr ist als das was „an der Oberfläche sichtbar ist“, wie es Agata Konczal beschreibt – dass Wald ein Lebens – Raum ist, in dem vielfältige Erlebnisse und Geschichten aus der Vergangenheit und von heute sich bündeln, weiterentwickeln und Identität erschaffen. Und in dem gesellschaftliche Diskurse beeinflusst und beschrieben werden.
Außerdem zeigt uns die Debatte, dass es um mehr geht als um diesen Wald. So wie es im Konflikt um den Białowieża-Nationalpark um viel mehr geht als um Borkenkäfer und einzelne Forstmaßnahmen, so geht es im Hambacher Forst um tieferliegende gesellschaftliche Fragen und Entwicklungen: „Wenn Bürger aufbegehren, haben Konzerne keine Chance. Nun wird im Rheinland ein Forst zum Schauplatz des Protests, der RWE-Konzern will ihn für die Braunkohle roden. Und er kann den Konflikt nur verlieren.”, titelte die Süddeutsche Zeitung letzte Woche. Es wird sich zeigen, wie sich die Geschichte um den Hambacher Forst weitergeschrieben wird. Fest steht, dass wir noch einiges von diesem Wald hören werden.

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