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Wer ist schuld am Waldsterben?! Eine deutsche Debatte

Der derzeitige Zustand der Wälder in Deutschland wird hitzig in den Medien diskutiert, besonders in 2019, da Waldschäden erstmals großflächig auch für das ungeübte Auge sichtbar wurden. Die Debatte scheint dabei zu einem Schauplatz des verhärteten Konflikts von Naturschutz und Forstwirtschaft zu werden, den wir schon seit Jahrzehnten immer wieder in den Medien beobachten. Tippt man die Begriffe „Waldschäden“ oder „Wald im Klimawandel“ in eine Suchmaschine ein, wird man überschüttet mit zahllosen Artikeln, Kommentaren, Positionspapieren und Blogeinträgen verschiedener Einzelpersonen und Institutionen. Um die Struktur der Debatte und die Argumentation der unterschiedlichen Positionen zu verstehen, habe ich einen genaueren Blick auf den medialen Diskurs geworfen. Hierbei habe ich vor allem die Erzählstränge von Naturschutz und Forstwirtschaft, die Herleitung ihres Standpunktes und die jeweilige Rhetorik untersucht. Um die Fülle an Publikationen zu diesem Thema zu bewältigen, habe ich repräsentative Akteure von Naturschutz und Forstwirtschaft ausgewählt und ihre Onlinepräsenz und Publikationen untersucht. Natürlich handelt es sich bei den Ergebnissen um eine Verallgemeinerung, die nicht jedem einzelnen Akteur gerecht zu werden vermag. Dennoch zeigte sich ein interessantes Muster des Diskurses. 

Von Holzäckern und Kunstforsten

Der Naturschutz tritt in den Medien sehr geschlossen und einheitlich auf. Dieser Eindruck wurde besonders durch gemeinschaftliche Veröffentlichungen in 2019 vermittelt: einen Offenen Brief an die Landwirtschaftsministerin vom 10. August und eine Pressemitteilung vom 24. September 2019 anlässlich des Nationalen Waldgipfels, die das Bild eines kollektiven Standpunkts unterstreichen. Zudem ist die Problematik der Waldschäden sehr präsent in der Arbeit der Naturschutzverbände und wird in zahlreichen Artikeln thematisiert. Hierbei werden immer die gleichen Argumente aufgegriffen und teilweise sogar mit identischen Formulierungen wiederholt. Die Ursache für die derzeitigen Waldschäden sieht der Naturschutz vor allem in der bisherigen Waldbewirtschaftung, die zu wirtschaftlich ausgerichtet sei. Daraus resultierten artenarme Monokulturen, fern vom natürlichen Waldökosystem, mit einem zu großen Anteil an Nadelholz und einem insgesamt zu hohen Nutzungsdruck. Besonders in der Beschreibung dieser Waldbewirtschaftung werden viele Kollektivsymbole verwendet – also Leitbilder, um die Wirklichkeit zu vereinfachen und häufig emotional zu deuten – wie „Holzäcker“, „Kunst- Forsten“, „industrieller Forst“ und „Holzfabrik“. Der Wald wird dabei mit dem Bild der Industrie und Technik verbunden, eine Vorstellung, die unserem allgemeinen Naturbild widerspricht. Das Auftreten des Naturschutzes in den Medien ist stark von dieser Schuldzuweisung an die Forstwirtschaft geprägt und geht in beinahe allen Publikationen darauf ein.

Ineke präsentiert die spannenden Ergebnisse ihrer Recherche im Rahmen des “Scientific Seminar” im EFI Bonn Büro.

Die Verantwortung zu handeln liege bei der Politik. Diese solle in erster Linie eine „Gute Forstliche Praxis“ zu definieren und damit der Forstwirtschaft – vermehrt naturschutzfachliche – Richtlinien zur Waldbewirtschaftung zu geben. Diese Bewirtschaftung solle mehr auf die natürliche Sukzession setzen, da der Wald selbst am besten auf den Klimawandel reagieren und sich an verändernde Bedingungen anpassen könne. Grundsätzlich finden sich in den Veröffentlichungen des Naturschutzes viele Argumente, die von den Verbänden auch in anderem Kontext vorgebracht und nun mit dem Thema des Klimawandels verknüpft werden. Hierzu zählen beispielsweise die Ausweisung von Schutzgebieten, Emissionen der Landwirtschaft, der Verbleib von Totholz oder der Einsatz von Pestiziden oder Schwersttechnik im Wald.

Von Klimawandel und Waldschäden

Im Vergleich dazu tritt die Forstwirtschaft sehr viel weniger einheitlich und geschlossen in den Medien auf. Viele forstliche Verbände äußern sich zu dem Thema und stellen offizielle Forderungen. Es gibt jedoch keine gemeinsame Publikation, die den Diskurs auf eine vergleichbare Weise prägt, wie es die Veröffentlichungen des Naturschutzes tun. Demzufolge findet auch keine geschlossene Schuldabweisung statt, die der Deutlichkeit und Vehemenz der Schuldzuweisung des Naturschutzes entgegenstünde. Auffällig ist, dass viele Akteure der Forstwirtschaft auf den Waldumbau der letzten Jahrzehnte und die mangelnde Konstruktivität der angebrachten Kritik verweisen. Der Diskurs seitens der Forstwirtschaft ist deutlich weniger von Kollektivsymbolen geprägt und wirkt insgesamt weniger emotional gefärbt. Die Ursache für die derzeitigen Schäden sieht die Forstwirtschaft im Klimawandel und in damit einhergehenden Extremereignissen. Einig ist man sich mit Naturschutzvertreter*innen, dass die Verantwortung, zu handeln, bei der Politik liege. Diese solle die Aufforstung der Schadflächen finanzieren und insgesamt der Forstwirtschaft eine größere Unterstützung bieten. Der Lösungsansatz bestehe in einer naturnahen Bewirtschaftung, in deren Rahmen der Mensch jedoch regulativ eingreife und die Entwicklung lenke. Insgesamt sind die Forderungen seitens der Forstwirtschaft deutlich weniger mit externen Inhalten verknüpft, die auch in anderem Kontext aufkommen, als dies seitens des Naturschutzes der Fall ist.

Wenig Interesse an gemeinsamen Forderungen?

Interessant ist, dass beide Seiten des Diskurses detaillierte Forderungen an die Politik formulieren. Einer der größten Konfliktpunkte besteht hierbei in der unterschiedlichen Auffassung von der Klimaschutzfunktion des Waldes. Während der Naturschutz diese vor allem in der Kohlenstoffspeicherung in Bestand und Boden sieht, unterstreicht die Forstwirtschaft die Bedeutung von Holz als ein Rohstoff, der langfristig Kohlenstoff speichert und zusätzlich auch als Alternative zu energieintensiven Materialien wie Aluminium und Stahl herhalten kann. Dieser konträre Standpunkt führt zu unterschiedlichen Ansätzen in der Waldbewirtschaftung: Während der Naturschutz fordert, dass Biomasse aufgebaut und der Nutzungsdruck gesenkt werden soll, plädiert die Forstwirtschaft für die Aufrechterhaltung einer aktiven Bewirtschaftung und damit auch der Holzproduktion. Auch die Diskussion der Baumartenwahl bringt einen Interessenskonflikt mit sich. So fordert der Naturschutz Laubmischwälder und lehnt den Anbau fremdländischer Baumarten aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse und des Risikos einer unkontrollierten Verbreitung und möglichen Verdrängung einheimischer Arten weitgehend ab. Die derzeitigen Schäden an der Fichte finden in allen Publikationen Erwähnung, häufig als Hinweis auf waldbauliche Fehlentscheidungen in der Vergangenheit. Schwierigkeiten mit heimischen Laubbaumarten werden teilweise mit zu starken forstlichen Eingriffen und einer daraus folgenden Auflichtung der Bestände und Exponierung der Bäume erklärt, größtenteils jedoch überhaupt nicht genannt. Seitens der Forstwirtschaft hingegen werden die Schäden an Laubbäumen vermehrt thematisiert, häufig auch, um Ernst und Ausmaß der aktuellen Situation zu betonen. Die Forstwirtschaft plädiert ebenfalls für die Förderung von Mischbeständen, zieht dabei jedoch auch Nadelholz und fremdländische Baumarten in Erwägung.

Der Anbau eingeführter Baumarten wird mit Verweis auf die Aufrechterhaltung der Produktivität und Stabilität des Waldes und – erneut – mit der Bedeutung der Holzverwendung für den Klimaschutz gerechtfertigt.

Grafik 1: Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den politischen Forderungen von Naturschutz (links) und Forstwirtschaft (rechts). Eigene Darstellung.

Neben diesen grundlegenden Konfliktpunkten der Diskurskoalitionen zeigt ein Blick auf die von mir erstellte Grafik allerdings auch die zahlreichen Überschneidungen in den jeweiligen Forderungen. Diese Gemeinsamkeiten finden bisher jedoch kaum Beachtung in den Medien. Ein interessantes – und viellleicht bahnbrechendes – Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Waldpakt für Nordrhein-Westfalen, der am 10. Dezember 2019 von der Landesregierung, Minister*innen und sowohl Forst- als auch Naturschutzverbänden unterzeichnet wurde.

Insgesamt scheint sich der Diskurs über den deutschen Wald im Klimawandel in den von mir untersuchten Medien zu einer weiteren Bühne für den fortwährenden Konflikt von Naturschutz und Forstwirtschaft zu entwickeln. Grundlegende Forderungen werden erneut vorgebracht und neu legitimiert; eine tatsächliche Kommunikation zwischen den Akteuren findet jedoch kaum statt. Sowohl die zahlreichen Überschneidungen in den Forderungen als auch der Waldpakt für Nordrhein-Westfalen zeigen dennoch, dass ein gemeinsamer Lösungsansatz möglich und der einzige Schritt vorwärts ist. Hierbei gilt es, die Klimaschutzfunktion des Waldes genauer zu bestimmen und sich auf die Vielzahl an gemeinsamen Forderungen als Grundlage zu besinnen.


Coverphoto: Bratispixl @ Flickr

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