Gelsenkirchen ist Fallstudie in grossem europäisch-chinesischem Forschungsprojekt koordiniert von EFI
Was hat Gelsenkirchen mit der chinesischen Stadt Huaibei zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel. Dennoch wurden beide Städte – zusammen mit u.a. Barcelona und Krakau, Hongkong und Peking – als “Fallstudien-Städte” für CLEARING HOUSE, das erste europäisch-chinesische Forschungsprojekt zu urbanen Wäldern ausgewählt. Und dies aus gutem Grund: Die ausgesuchten Städte sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert, die teilweise auf alle zutreffen, teilweise regional-spezifisch sind: von Umweltbelastungen zu hohen Arbeitslosenquoten, von massivem industriellem Wachstum zu Chancen und Schwierigkeiten, die Migration mit sich bringt. Gemeinsam haben alle diese Städte, dass stadtnahe und städtische Wälder sowie Parks und Bäume in öffentlichen und privaten Räumen eine wichtige Rolle spielen, wenn wir den ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen begegnen wollen. Urbane Wälder erhöhen unser Wohlbefinden, sind Lebensraum für viele verschiedene Arten und wirken negativen Klimaentwicklungen wie Hitzeinseln entgegen, indem sie im heissen Sommer Schatten spenden.
Ausgangspunkt des mit über 7 Millionen Euro von der Europäischen Kommission und chinesischen wissenschaftlichen Partnern finanzierten Forschungsprojektes CLEARING HOUSE ist, dass wir neue Ideen und Konzepte für die Parks und die Stadtwälder von morgen brauchen. Deswegen ist es ein wichtiges Ziel des Projektes, gemeinsam mit verschiedenen Interessengruppen in den zehn ausgewählten Fallstudienstädten Leitlinien und Handlungsempfehlungen zu entwickeln, um sowohl den öffentlichen als auch den privaten Umgang mit der Bewirtschaftung von Bäumen in der Stadt zu verbessern. Hierbei werden u.a. Bildungspakete konzipiert, eines richtet sich beispielsweise an Schulkinder (10 – 14 Jahre) und Lehrer*innen in Europa und China. Diese Pakete sollen sogenannte “naturbasierte Lösungen” vermitteln, lebende oder lebendige Lösungen, die einen Beitrag zu aktuellen Herausforderungen der nachhaltigen Stadtentwicklung liefern. Schlussendlich wird auch die Wirtschaft addressiert, Investitionsszenarien und Geschäftsmodelle zu entwickeln, um das gesamte “städtische Ökosystem“ nachhaltig zu sichern und zu fördern.
Gelsenkirchen – früher geprägt von der Kohle- und Stahlindustrie – ist durch den wirtschaftlichen und sozialen Wandel der vergangenen Jahrzehnte vielseitig gefordert. Gelsenkirchens Strategie, die Zukunft der bunten Stadtgemeinde zu gestalten, konzentrierte sich in den letzten Jahren auf Prävention, Bildung und Partizipation sowie die Idee einer “Lernenden Stadt” – die Kombination von integrativer, chancengleicher und guter Bildung mit der “Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)”. Dieser nachhaltige Ansatz und die Umwandlung zahlreicher ehemaliger Standorte des Bergbaus (Kohlebergwerke, Kokereien, Stahlwerke) in kleinere innerstädtische Parks und die Integration der Brachflächen in städtische und regionale Grün- und Waldflächen („Emscher Landschaftspark“ der Metropole Ruhr) machen Gelsenkirchen zum spannenden Forschungsobjekt für die Forschende im Projekt CLEARING HOUSE. Diese neugeschaffenen Orte erfüllen Funktionen als „städtisches Wildnisgebiet“, „Naturerlebnisgebiet“, “Ort für außerschulisches Lernen” (Biomassepark, Forststation Rheinelbe) und “Grüne Labore” mit den Schwerpunkten Naturerleben und Erholung , Gemeinschaftsgärtnern, Stadtwald und (Umwelt-) Bildung.

Gelsenkirchen beschäftigt sich im Rahmen des Forschungsprojektes mit zwei zentralen Fragen:
• Wie können möglichst viele Bürger angesprochen und miteinbezogen werden?
• Wie können Parks und Stadtwälder Orte des sozialen Ausgleichs werden?
Bildung und Partizipation sowie die Bereitschaft und Fähigkeit der Menschen, die Zukunft der Stadt mitzugestalten, sind dabei wichtige Instrumente, um Lern- und Gestaltungskompetenzen (learning by doing) zu erwerben und positive, motivierende Zukunftserwartungen zu vermitteln. Mit mehreren Modellprojekten und Best-Practice-Beispielen wie dem Industriewald Rheinelbe und dem Grünlabor im Biomassepark Hugo möchte Gelsenkirchen Anregungen geben und Ideen mit anderen Städten austauschen.
Ziel des Industriewalds Rheinelbe ist es, die Industriebrachen des Emscher Landschaftsparks durch natürliche Entwicklungsprozesse zu pflegen und den Menschen gezielt als Naturerfahrung, Naturerlebnisräume, Orte der Umweltbildung und heimatnahe Erholung zugänglich zu machen. Die Entwicklungen werden von Natur- und Sozialwissenschaften begleitet.
Der Biomassepark Hugo als “grünes Labor” und “Lernort für Bildung für nachhaltige Entwicklung” umfasst drei Bereiche: Im Bereich “Biomassepark” wurden zahlreiche Naturschutzmassnahmen (Gehölzpflanzungen, Waldflächen, Gewässern, Anlage von Blumenwiesen u.v.m.) gebündelt auf dem ehemaligen Zechengelände angelegt und werden nun dauerhaft gepflegt. Im Gebiet “Wildnis in der Stadt” finden gefährdete und geschützte Arten ihren Platz. Im dritten Bereich “Gemeinschaftsgärten / urban gardening” stehen Partizipation und Erholung im Vordergrund. Hier beteiligen sich unterschiedliche städtische Akteure: von Schulen und Kindertagesstätten zu Nachbarn, Regionalforstamt, Stadtverwaltung und Stiftungen.
Der besondere Fokus, den Gelsenkirchen auf die enge Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft legt, spiegelt sich auch in der Organisation des ersten CLEARING HOUSE-Fallstudienworkshops “Urbane Wälder” wieder, der am 10. September von 15:30-20 Uhr im Amphitheater Gelsenkirchen stattfindet.
Hier werden mit Gelsenkirchener Bürgerinnen, Vertreterinnen von Politik, Wirtschaft und Verwaltung sowie der Wissenschaft zahlreiche “Dienstleistungen” urbaner Wälder diskutiert – vom Kampf gegen den Klimawandel über Freizeitgestaltung und Gesundheit bis zur Umweltbildung.
Weitere Informationen zum CLEARING HOUSE Projekt:
Dieses Projekt wurde vom europäischen Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 im Rahmen der Förderung Nr. 821242 finanziert. Mehrere chinesische CLEARING HOUSE-Partner haben ebenfalls zur Finanzierung beigetragen.
Featured image: Blick von der Bergehalde Rungenberg auf das Grünlabor / ehemalige Zeche Hugo (Foto: Georg Nesselhauf)