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Ein zukunftsfähiges Waldkonzept entwickeln – das Projekt “Dauerwald”

Interview mit Hans von der Goltz

Hans von der Goltz ist Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Waldwirtschaft (ANW). Wir haben mit ihm über das neue ANW-Projekt “Dauerwald” gesprochen, über Chancen und Herausforderungen – und das Ziel, einen sowohl ökonomisch als auch ökologisch nachhaltigen Wald zu fördern.

Was ist eigentlich ein Dauerwald?

Ein Dauerwald ist ein Wald, in dem nicht nur verschiedene standortgerecht Baumarten, sondern auch Bäume unterschiedlichen Alters stehen. Er wird ohne Kahlschlag einzelbaumweise nach dem Prinzip der größtmöglichen Stetigkeit bewirtschaftet – Stetigkeit von Vorrat, Struktur, Zuwachs und ökologischen Grundlagen.

Warum brauchen wir Dauerwald?

Im Dauerwald führt relativ einheitliche Ausstattung aller „Waldetagen“ mit jungen, mittelalten und alten Bäumen zu Windruhe und zu einer deutlich höheren Luft- und Bodenfeuchte. Hierdurch werden Maximaltemperaturen gesenkt. Einzelne, besonders trocken- oder hitzeempfindliche Baumarten leiden natürlich auch, aber andere überdauern. Im Gegensatz zu wenig strukturierten Reinbeständen verschwindet bei den aktuellen Herausforderungen des Klimawandels nicht der ganze Wald, sondern eben nur einzelne Bäume. Der Wald bleibt erhalten – und das muss aktuell unser wichtigstes Ziel sein.

Welches Ziel hat das Dauerwald-Projekt und was erwarten sich die Waldbesitzenden davon?

Auf bundesweit elf naturgemäß bewirtschafteten Waldflächen soll wissenschaftlich untersucht werden, ob das jeweilige waldbauliche Vorgehen dem Anspruch der ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit, der „Stetigkeit des Waldwesens“ (Möller) gerecht wird. Die betreffenden Waldbesitzenden erwarten aus dem Projekt konkrete Hinweise darauf, wie sie regional ihre Art der Waldbewirtschaftung optimieren können. Als Arbeitsgemeinschaft Naturgemäße Waldwirtschaft (ANW) haben wir Interesse daran herauszufinden, ob unsere naturgemäßen Bewirtschaftungsgrundsätze noch zeitgemäß sind. Und da das Projekt Bestandteil eines europaweiten Flächennetzwerkes ist, erwartet ProSilva Europa als unser Dachverband Hinweise neue Waldentwicklungen in allen europäischen Klimazonen.

Welchen Nutzen haben Marteloskope für das “Dauerwald”-Projekt?

In den 1,0 ha großen Waldflächen der Marteloskope wurden alle Bäume mit GPS eingemessen und hinsichtlich Baumart, Qualität, sozialer Stellung usw. bewertet. Soziale Stellung eines Baumes bedeutet, ob er vorherrschend im obersten Kronenbereich oder unterdrück im Unten drinsteht. Auf derartigen Flächen kann man virtuell überprüfen, welche Auswirkungen unsere persönlichen waldbaulichen Entscheidungen auf die ökologische und ökologische Nachhaltigkeit haben würde. Überraschende Ergebnisse führen bei ganz vielen Nutzerinnen und Nutzern der Marteloskope zum konstruktiven Nachdenken über das eigene Handeln.

Wieso passt das Projekt zur ANW?

Wir als ANW glauben, dass wir in unserer 70-jährigen Praxisgeschichte ein Waldbaukonzept entwickelt haben, das verantwortungsvoll mit unseren ökologischen Ressourcen umgeht, gleichzeitig aber den wirtschaftlichen Erfolg nicht aus den Augen verliert. Durch neue Baumarten, vor allem aber durch sich ändernde klimatische Bedingungen verschieben sich traditionelle Elemente im Ökosystem Wald. Baumarten, die bisher gut gewachsen sind, erliegen dem Trockenstress, andere bisher eher unbedeutende Baumarten setzen sich plötzlich durch. Die traditionellen oft kleinräumig unterschiedlichen Standorte mit ihren individuellen Lebensgemeinschaften werden ersetzt durch bisher unbekannte, neue. Gleichzeitig kann man sich auf die bisherige potenzielle „natürliche Vegetation“ als ein wichtiger Maßstab standortgerechten Handelns stimmt nicht mehr verlassen. Wir leben in einem vom Wandel geprägten Prozess. Deswegen habe ich oben – ganz selbstkritisch – gesagt, wir „glauben“ ein zukunftsfähiges Waldkonzept entwickelt zu haben. Mit dem Projekt „Dauerwald“ möchten wir einerseits Gewissheit erlangen, welche unserer Grundsätze nach wie vor Gültigkeit haben. Andererseits möchten wir Hinweise bekommen, wo wir neue Gewichtungen oder gar Änderungen vornehmen müssen.

Begrüßung durch Herrn Stephan von Boschen, Herrn Julien Tomasini und Herrn Holger Weinauge (v.l.)
Projektbeginn: Begrüßung durch Herrn Stephan von Boschen, Herrn Julien Tomasini und Herrn Holger Weinauge (v.l.)

Die ANW ist seit 70 Jahren in einem praxisorientierten Prozess waldbaulicher Optimierung. Mit dem Projekt werden hoffentlich offene Fragen beantwortet. Wir suchen – das Projekt antwortet – daher passt es gut zu uns!

Welche waldbaulichen Herausforderungen sind zu erwarten?

Es gibt aus dem Projekt noch keine konkreten Ergebnisse, wohl aber erste Hinweise:
Nicht primär der Ertrag, sondern die Erhaltung des Waldes rückt im Zusammenhang mit dem Klimawandel in den zentralen Focus. Elemente, die dieses Ziel unterstützen sind:

  • strukturelle Vielfalt des Waldes, z.B. alte neben jungen Bäumen und mehrere Baumarten nicht räumlich voneinander getrennt auf gleicher Fläche;
  • windberuhigtes luftfeuchteres Waldinnenklima, das die Temperaturen im Wald senkt;
  • Erhöhung der Bodenfeuchte durch dauerhafte, aber differenzierte Beschattung des Bodens und mehr liegendes Totholz;
  • stärkeres Augenmerk auf die nachhaltige Ertragskraft der Waldböden, z.B. durch so extensive Befahrung wie möglich, keine großflächige direkte Besonnung oder Verzicht auf einseitige Bodenbelastung durch nur eine Baumart.
Ein Stichprobenpunkt in einer Dauerbeobachtungsfläche.
Ein Stichprobenpunkt in einer Dauerbeobachtungsfläche.

Diesen Elementen müssen wir im Rahmen naturgemäßer Waldbewirtschaftung mehr Aufmerksamkeit schenken. Sie sind wesentlich für die Überlebensstrategie des Waldes. Die Stilllegung des Waldes ist keine Alternative, weil wir den ökologischen Rohstoff Holz brauchen. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass ohne Bewirtschaftung zum Beispiel die strukturelle Vielfalt in vielen Waldgesellschaften verloren gehen wird.

Die ANW möchte ihre naturgemäße Art der Waldbewirtschaftung auch in Zeiten des (klimatischen) Wandels so weiterentwickeln, dass wir mit gutem Gewissen von einem ökonomisch und ökologisch nachhaltigen Wald sprechen können.


Titelbild: Pixabay

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