Nachhaltige Waldbewirtschaftung durch Flächenprämien fördern, die Holzernte nur noch innerhalb von Nachhaltigkeitsgrenzen durchführen und finanzielle Unterstützung für besondere Umweltleistungen garantieren – dies sind nur einige Punkte der neuen europäischen Waldstrategie für 2030, die schon in ihrem Entstehungsprozess in Deutschland und auch in vielen anderen europäischen Ländern kontrovers diskutiert wurde. Die Waldstrategie für 2030 wurde vor Kurzem von der EU-Kommission als eine der Leitinitiativen des europäischen „Green Deal“ auf den Weg gebracht. Sie hat das Ziel, die vielfältigen Funktionen der Wälder miteinzubeziehen, auch in Referenz zur EU-Biodiversitätsstrategie für 2030.
Während Umweltschützer*innen den zu großen Einfluss der Holzwirtschaft und der nationalen Regierungen bemängeln, der in den Augen eines manchen ein „weich gespültes Papier“ zum Resultat hat, entgegnen andere, die Strategie ginge zu weit: Besonders Förster*innen und Waldbesitzer*innen sehen sich teilweise in der Bewirtschaftung ihrer Wälder bevormundet und fürchten Enteignung und/oder zukünftige Abhängigkeit von EU-Subventionen.
Diese und zahlreiche weitere Perspektiven wurden am 23. September in einem Webinar zur europäischen Waldstrategie beleuchtet und diskutiert, das vom deutschen Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Europäischen Union organisiert wurde.
Unter der Moderation von Gesche Schifferdecker, Leiterin der Kommunikationsabteilung des Bonner Büros von European Forest Institute gab es zunächst kurze einführende Vorträge und im Anschluss eine Diskussion zur Strategie und ihren Stärken und Schwachstellen.
In ihren einführenden Worten betonte Ursula Heinen-Esser, Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NRW die wichtige Rolle der Wälder zur Umsetzung des Green Deals. Zudem verdeutlichte sie die Herausforderung, gleichzeitig den Naturschutz im Blick zu haben und die ökonomischen Anliegen der Forstbetriebe und Waldbesitzer*innen zu berücksichtigen.
Dr. Eva Müller, Leiterin der Abteilung Wald, Nachhaltigkeit und Nachwachsende Rohstoffe im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft stellte anschließend die zentrale Bedeutung einer ausgewogenen, kohärenten und sich wechselseitig unterstützenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den übrigen EU-Mitgliedsstaaten heraus. Zudem unterstrich sie die Multifunktionalität des Waldes und appellierte, nicht die ökologischen, aber ebenso wenig die ökonomischen oder sozialen Funktionen aus dem Auge zu verlieren.
In seinem Vortrag unterstrich Dan Burgar Kuželički, slowenischer Unterstaatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Ernährung, am Beispiel Sloweniens die steigende Bedeutung der Wälder, auch bei der Erreichung verschiedener nationaler, EU-weiter und globaler Ziele. Im Rahmen der aktuellen slowenischen Ratspräsidentschaft spielt die EU-Waldstrategie eine zentrale Rolle, denn nur eine nachhaltige und multifunktionale Waldbewirtschaftung kann sicherstellen, dass biologische Vielfalt, grüne Arbeitsplätze, die Weiterentwicklung der Bioökonomie und viele weitere Vorhaben erreicht werden. Kuželički betonte, dass es wichtig ist, dass Wald und nachhaltige Waldbewirtschaftung ganzheitlich betrachtet werden.
Pierre Bascou, Direktor für Nachhaltigkeit und Einkommensunterstützung in der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission wiederum brachte die Perspektive der Kommission ein: Ausgangspunkt für die Entwicklung der EU-Waldstrategie 2030 sei, dass wir unsere Wälder essentiell brauchen, um die Klimaneutralität der EU bis 2050 zu erreichen. Konkret bedeutet dies: Die Strategie biete Bascou zufolge sowohl eine langfristige Vision für die Zukunft unserer vielfältigen europäischen Wälder als auch eine Reihe konkreter Maßnahmen an, um zum einen die Waldfläche in der EU zu erhöhen, indem Wald wiederhergestellt und neu gepflanzt wird, aber gleichzeitig auch die Widerstandsfähigkeit und den Schutz der Wälder zu gewährleisten. So hat die Strategie Bascou zufolge das Ziel, alle Menschen anzusprechen und zu demonstrieren, wie ein verstärkter Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wachstum und Wohlstand einhergehen kann.
In der anschließenden Diskussion debattierten vier Akteur*innen aus Politik, Forschung und Forstwirtschaft, moderiert von Gesche Schifferdecker, Communication Manager des Bonner Büros von European Forest Institute.
Dr. Peter Liese ist Mitglied des europäischen Parlaments (EPP) und unter anderem im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit tätig. In seinen Augen hat der Wald durch seine Bedeutung für unser Klima im Green Deal eine entscheidende Aufgabe, über die nur auf europäischer Ebene umfassend entschieden werden kann. Jedoch braucht es seiner Meinung nach für die Stärkung der Biodiversität auch die Unterstützung derjenigen, die unsere Wälder bewirtschaften. Hierfür benötigen Waldbesitzende finanzielle Unterstützung und eine Kompensation auch für die anderen Ökosystemdienstleistungen, die unsere Wälder bereitstellen. Daher forderte Liese auch eine Nachbesserung des EU-Programms zur Förderung des ländlichen Raums zugunsten von Waldbesitzer*innen. Auch sprach er sich für die komplette Einbeziehung der Land- und Forstwirtschaft in den Emissionshandel aus, damit sich eine entsprechende Ausrichtung der Forstwirtschaft auf die Klimaschutzleistungen des Waldes zukünftig lohnt.
Carmen Preising, stellvertretende Kabinettchefin des Kabinetts Umwelt/Meere/Fischerei der europäischen Kommission betonte die Bedeutung des Waldes als langfristiger Klimaschützer mit wichtiger CO2-Speicherfunktion. Dennoch ist Preising zufolge die Rolle dies nicht das einzige Ziel der Strategie. Die Wertschätzung direkt Betroffener, der „Hauptpersonen“, die im Green Deal angesprochen werden sollen, ist ihr ebenfalls ein großes Anliegen. Um den Wald zu einem resilienten Klimaschützer zu machen, braucht es daher Unterstützung und Mittel. Letztere sind bereits verfügbar, werden jedoch oftmals nicht abgerufen. Ein weiteres Problem der EU-Waldstrategie sah Preising auch in der Kommunikation im Rahmen der Entstehung. Zwar wurden die Mitgliedsstaaten und deren Belange Preising zufolge ungewöhnlich lang und eng in den Prozess der Entscheidungsfindung einbezogen, der Austausch unter Agrar- und Umweltminister*innen verschiedener Mitgliedsstaaten sei aber noch ausbaufähig. Zum Schluss formulierte Preising ihren Wunsch nach einer gleichwertigen Anerkennung der Biodiversitäts- und der Klimakrise. Gleichzeitig forderte sie auch eine breitere Diskussion über die Gestaltung und Umsetzung der EU-Waldstrategie unter Einbeziehung zahlreicher verschiedener Akteure.
Dr. Britta Linnemann, Diplombiologin und Geografin sowie Vorsitzende des Vorstands und Mitglied der Geschäftsführung vom NABU NRW stellte das Problem der Klimakrise und das der Biodiversitätskrise als zwei voneinander separat zu betrachtende Probleme dar, wobei sie letzter sogar noch als gravierender ansah. Dennoch können beide Krisen in Linnemanns Augen nur zusammen gelöst werden, wofür der Wald gute Voraussetzungen mit sich bringt. In dem Versuch, die komplette Multifunktionalität des Waldes einzubinden, sind in ihren Augen jedoch die Belange der Nachhaltigkeit und der Biodiversität in der neuen EU-Waldstrategie zu unspezifisch und oberflächlich geblieben. Linnemann sprach sich gegen eine Übernutzung des Waldes aus, bei der Waldbiomasse als erneuerbare Energie angesehen, Abfallprodukte des Waldes verbrannt werden und somit CO2-schädliche Auswirkungen haben. Gleichzeitig wird ihr zufolge die Habitat-Kontinuität, die für Naturschutz zentral ist, außer Acht gelassen. Stattdessen wünscht sich Linnemann mehr Stilllegung von Wäldern, u.a. weil dort eine höhere Biodiversität festzustellen sei
Roderich Freiherr von Loë, Forstwirtschaftler und Mitglied des Deutschen Forstwirtschaftsrates, bekräftigte den Wunsch nach Wertschätzung der Waldbesitzer*innen, in deren Grundeigentum seiner Meinung nach infolge der neuen EU-Waldstrategie eingegriffen werde. Von Loë zufolge herrsche derzeit eine Unausgewogenheit des Nachhaltigkeitsprinzip zu Kosten des Waldes und seiner Eigentümer. Er stellte fest, dass es die EU-Kommission versäumt habe, wichtige Akteure miteinzubeziehen. Das führe wiederum dazu, dass die Waldbesitzer*innen teils nicht in der Lage seien, den Green Deal in dem Ausmaß umzusetzen, wie sie es sich vorstellen würden. Dass der Wald nun Teil von öffentlichen Diskussion sei und somit die gesellschaftlichen Anerkennung gewachsen sei, erkennt er aber als einen klaren Fortschritt. Von Loë wünscht sich für die Zukunft Schutz des Eigentums der Waldbesitzer*innen, weniger Bürokratie, mehr Anreize und weniger Stilllegung der Wälder in Europa.
Die zahlreichen unterschiedlichen Perspektiven und Interessengruppen, die von der neuen EU-Waldstrategie betroffen sind, machen deutlich, dass der Dialog zwischen den einzelnen Akteuren auch weiterhin von enormer Relevanz sein wird. Dies gilt für die Auslegung, Handhabung und Umsetzung der Strategie – bei der es sich vielmehr um einen andauernden Prozess, als um eine einmalige Verabredung gemeinsamer Ziele handelt.
Featured image: tree with fungi in Trentino, Italy (photo y Gesche Schifferdecker)